Policy Brief:Die EU-Institutionen im Demokratie-Check

Von: young european swiss | yes

2. Juni 2025

Die Europäische Union wird in öffentlichen Debatten oftmals mit dem Begriff „Demokratiedefizit“ in Verbindung gebracht – ein Vorwurf, der suggeriert, dass demokratische Legitimation und Transparenz innerhalb der EU-Strukturen fehlen würden. Dieser Mythos entspringt vor allem einem nationalstaatlich geprägten Demokratieverständnis, das den besonderen Charakter supranationaler Institutionen nicht adäquat berücksichtigt. Tatsächlich fördert die EU demokratische Prozesse durch institutionelle Ansätze, transparente Entscheidungsverfahren und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf verschiedenen Ebenen. Sie leidet somit keineswegs unter einem Demokratiedefizit, sondern stärkt in vielerlei Hinsicht demokratische Prinzipien in einer europäischen Dimension.

Direktwahl des europäischen Parlaments

Ein zentrales Element der demokratischen Struktur der EU ist die seit 1979 regelmässig stattfindende Direktwahl des Europäischen Parlaments, die das Herzstück der demokratischen Legitimation auf europäischer Ebene ist. Die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, Politikerinnen und Politiker direkt zu wählen, die ihre Interessen im europäischen Entscheidungsprozess vertreten. Dabei sind die Mitgliedstaaten weitestgehend frei in der Ausgestaltung ihrer Wahlmodalitäten.1 Durch die kontinuierliche Ausweitung der Kompetenzen des Parlaments – insbesondere nach dem Vertrag von Lissabon – wird die demokratische Kontrolle stetig gestärkt. Gemeinsam mit dem Rat der EU, welcher aus den Fachministerinnen und -ministern der Mitgliedsstaaten besteht, auch genannt Ministerrat, ist das Parlament für die Gesetzgebung zuständig. Seit 2009 sind das Europäische Parlament und der Ministerrat gleichberechtigt in fast allen Politikbereichen.2

Transparente Entscheidungsprozesse und Gewaltenteilung

Die Entscheidungsprozesse in der EU sind weitgehend transparent gestaltet. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Ministerrat und die Europäische Kommission unterliegen strengen Verfahrensregeln, die eine öffentliche Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen gewährleisten. Genau wie die Mitglieder des Europäischen Parlaments sind auch die Ministerinnen und Minister des Rats demokratisch legitimiert, da sie von den gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten entsendet werden. Der Transparenzgrundsatz ist tief  in der Identität der EU verankert und wird auch in den Verträgen an verschiedenen Stellen erwähnt.3 Darüber hinaus kontrolliert der Europäische Gerichtshof die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen und stellt sicher, dass die demokratischen Prinzipien nicht untergraben werden.4 Die Europäische Kommission ist für die Umsetzung der Entscheide zuständig und agiert als Exekutive und Hüterin der Verträge.5 Diese institutionelle Gewaltenteilung trägt dazu bei, Machtkonzentrationen zu vermeiden und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU-Institutionen zu stärken.

Bürgernähe und Bürgerinitiative

Neben den regulären Wahlen und parlamentarischen Beteiligungen ist die Bürgernähe ein wichtiges Prinzip der EU. Auch dies ist in den Verträgen so vorgesehen.6 Instrumente wie der Bürgerdialog oder die Möglichkeit, Petitionen beim Europäischen Parlament einzureichen, eröffnen den Bürgerinnen und Bürgern direkte Einflussmöglichkeiten auf den politischen Kurs der EU.7 Diese partizipativen Ansätze zeigen, dass die EU demokratische Prozesse fortlaufend modernisiert und an die Bedürfnisse einer zunehmend vernetzten Gesellschaft anpasst. Das stärkste demokratische Mitbestimmungsrecht in der EU ist die Bürgerinitiative, welche vorsieht, dass Bürgerinnen und Bürger die Kommission auffordern können, Lösungsvorschläge zu einem Anliegen auszuarbeiten, sofern die Antragsstellerinnen und Antragssteller EU-übergreifend eine Million Unterschriften für ihre Idee sammeln konnten.8

Fazit

Der Mythos des Demokratiedefizits beruht oft auf einem verengten Blick auf Demokratie, der vor allem auf nationale Strukturen fokussiert ist. Dabei wird übersehen, dass die EU als supranationale Organisation andere, aber nicht minder legitime Wege findet, demokratische Prinzipien umzusetzen. Viele der vermeintlichen Mängel sind vielmehr Ausdruck der Komplexität europäischer Politik – eine Komplexität, die notwendig ist, um die Interessen von über 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern adäquat zu repräsentieren. In der Schweiz hört man den Mythos des Demokratiedefizits immer wieder, da diese über direktdemokratische Instrumente verfügt, welche der EU in diesem Ausmass fehlen. Es ist jedoch ein Fehlschluss die Strukturen eines einzelnen Staates als Massstab für eine supranationale Organisation zu nehmen, die aus 27 Mitgliedstaaten und damit 27 eigenen Regierungen besteht. Dies macht die Entscheide der EU nicht weniger demokratisch.

Referenzen

  1. «Die Wahl zum Europäischen Parlament: Ihre Möglichkeit, mitzubestimmen!», Europäisches Parlament, zuletzt besucht am 30.03.2025, <https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/de/be-heard/elections>.

  2. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 14 und Art. 294, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 47–390.

  3. Vertrag über die Europäische Union (EUV), Art. 1 Abs. 2, Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 2, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 13–390.

  4. Vertrag über die Europäische Union (EUV), Art. 19 Abs. 1, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 13–390.

  5. Vertrag über die Europäische Union (EUV), Art. 17, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 13–390.

  6. Vertrag über die Europäische Union (EUV), Art. 1 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 3, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 13–390.

  7. «Petition an das Europäische Parlament», Europäische Kommission, zuletzt besucht am 30.03.2025, <https://commission.europa.eu/get-involved/engage-eu-policymaking/petition-eu_de>.

  8. Vertrag über die Europäische Union (EUV), Art. 11 Abs. 4, ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 13–390.

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